Bild aus einer WfbM

Wie kann das Entgeltsystem in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) reformiert werden?

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat im Jahr 2019 eine umfangreiche Studie zum bestehenden Entgeltsystem für behinderte Menschen in Werkstätten (WfbM) in Auftrag gegeben. Ziel war es, Möglichkeiten zu untersuchen, mit denen es gelingt, das bestehende Entgeltsystem transparent, nachhaltig und zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Seit September 2023 liegen die Ergebnisse der Studie vor.

Im Hinblick auf ein existenzsicherndes Entgelt gibt die Studie folgende Handlungsempfehlungen:

  • Das Entgeltsystem sollte zukünftig so ausgestaltet sein, dass eine Angewiesenheit auf Grundsicherungsleistungen bei einer Vollzeitbeschäftigung entfällt.
  • Um die Transparenz eines zukünftigen Entgeltsystems zu erhöhen, sollte die Entgeltzusammensetzung und die Notwendigkeit von insgesamt drei Komponenten überprüft werden. Im Sinne transparenter Rahmenbedingungen wäre langfristig auch zu prüfen, inwiefern die obligatorische Offenlegung der Ermittlung und Verwendung des Arbeitsergebnisses von WfbM gegenüber den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe (§ 12 Abs. 6 WVO) ausreichend ist oder ob analog zur Bilanzierungspflicht von Kapitalgesellschaften und deren Veröffentlichungspflicht im Bundesanzeiger nach § 325 HGB hier nachzusteuern ist.
  • Bisher ist die monatliche Entgelthöhe für WfbM-Beschäftigte in Bezug auf den Steigerungsbetrag abhängig vom erwirtschafteten Arbeitsergebnis und damit erheblichen Schwankungen durch die wirtschaftliche Lage der einzelnen WfbM ausgesetzt, was auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt so kaum vorzufinden ist. Ein alternatives Entgeltsystem soll demgegenüber durch einen am Mindestlohn orientierten Lohnkostenzuschuss für finanzielle Stetigkeit und die damit verbundene Einkommenssicherheit sorgen. Aus dem Arbeitsergebnis können darüber hinaus leistungsbezogene Abstufungen der Entgelte finanziert werden.
  • Um einen Kompromiss zwischen dem Gleichheitsprinzip und dem Prinzip der Leistungsgerechtigkeit zu finden, sollte die Höhe des Entgelts grundsätzlich für alle Werkstattbeschäftigten auf ein auskömmliches Niveau angehoben werden. Dieses soll eine Grundlage bilden, von der aus leistungsgerecht differenziert und unter Berücksichtigung der individuellen und behinderungsbedingten Leistungsfähigkeit die Entgelthöhe variiert werden kann.
  • Die in dieser Studie vorgestellten Entgelt-Alternativen implizieren jeweils unterschiedliche (finanzielle) Auswirkungen (z.B. Grundeinkommen-/ Basisgeldmodelle und Varianten des gesetzlichen Mindestlohns). Diese Implikationen gilt es zu überprüfen und für die finale Ausgestaltung eines reformierten Entgeltsystems abzuwägen. Das Ziel eines mindestens existenzsichernden Niveaus bei gleichzeitigem Spielraum für leistungsbasierte Differenzierung scheint durch ein steuersubventioniertes Mindestlohnmodell gut erreichbar zu sein. Gut begründbar erscheint uns dabei eine Trennung zwischen einer nach dem Mindestlohn vergüteten Nettoarbeitszeit (im empirischen Durchschnitt 29,2 Stunden pro Woche) und Zeiten für Pausen und rehabilitative Maßnahmen. Ein Finanzierungsbeitrag der WfbM kommt in etwa der Höhe hinzu, in der er derzeit geleistet wird.
  • Den gleichheitsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes, des EU-Rechts und der UN-BRK entspricht es am stärksten, die Geltung des Mindestlohns als Regelfall vorzusehen. Ausnahmen für Fälle, in denen die Rehabilitation ganz im Vordergrund steht, sind denkbar.
  • Das Risiko einer Armutslage während oder nach der Phase der Erwerbstätigkeit, das derzeit durch einen behinderungsbedingten Rentennachteilsausgleich (Erwerbsminderungsrente und Altersrente) abgesichert wird, muss durch eine existenzsichernde Vergütung und einen ergänzenden, nicht an den Arbeitsort WfbM geknüpften Anspruch auf Nachteilsausgleich durch erhöhte Rentenversicherungsbeiträge vermieden werden.
  • Mit dem Ersatz des rentenrechtlich verankerten arbeitsplatzgebundenen Nachteilsausgleichs durch eine existenzsichernde Vergütung und einen arbeitsplatzunabhängigen, behinderungsbedingten Nachteilsausgleich entfällt auch eines der häufig genannten Hemmnisse eines Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.
  • Damit verbundene und oft durch Informationsdefizite begründete Ängste (z.B. zu finanziellen Nachteilen bei einem Übergang) sollten durch unabhängige Rentenberatungen in einfacher und leichter Sprache und in Form externer Angebote kompensiert werden. Die Zuständigkeit für solche Rentenberatungen liegt in der Regel bei der Deutschen Rentenversicherung. Infrage kämen auch die Träger der Eingliederungshilfe sowie im Vorfeld von Antragsstellungen auch die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB®).
  • Der Ausschluss der WfbM-Beschäftigten und der Beschäftigten mit dem Budget für Arbeit von der Arbeitslosenversicherung wegen der Annahme einer vollen Erwerbsminderung ist im Sinne der Gleichbehandlung und Öffnung für den allgemeinen Arbeitsmarkt zu überprüfen, damit ein gleichberechtigter Anspruch auf Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld entsteht.
  • Bei einer Erhöhung des Werkstattentgelts auf ein auskömmliches Niveau wäre zu erwägen, im Einzelfall ergänzend benötigte Sozialleistungen nach den Regelungen des SGB II (Bürgergeld) zu leisten.
  • Mittelfristig ist zu überprüfen, ob und wie das Recht der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben stärker oder ganz vom Beschäftigungsort gelöst werden kann, etwa durch ein verallgemeinertes Budget für Arbeit. Angepasste Beschäftigungsformen können gleichwohl beibehalten und möglicherweise weiterentwickelt werden.